Das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens

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I. Hintergrund

Kurz vor Toresschluss dieser Legislaturperiode haben Bundestag und Bundesrat das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens beschlossen1. Das Gesetz beruht auf zwei ursprünglichen Gesetzentwürfen, dem Entwurf zur Umsetzung der Empfehlungen der in dieser Legislaturperiode eingesetzten StPO-Expertenkommission2 und dem Entwurf zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze, der insbesondere Änderungen zum Fahrverbot und zur Anordnungskompetenz bei der Blutprobenentnahme enthielt3 . Im parlamentarischen Verfahren wurden beide Vorhaben zu einem Gesamtpaket verbunden und um Regelungen zur Online-Durchsuchung und zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung4 ergänzt. Inhaltlich reichen die Gesetzesänderungen vom materiellen Strafrecht über das Sanktionenrecht bis hin zu zahlreichen – kleineren und größeren – Änderungen im Strafverfahrensrecht. Im nun folgenden – ersten – Teil des Beitrags sollen die Änderungen in StGB, JGG und StVG betreffend das Sanktionensystem und das materielle Strafrecht vorgestellt werden. Im zweiten Teil werden die Änderungen im Ermittlungsverfahren, im dritten Teil die Neuregelungen im Hauptverfahren, im Rechtsmittelrecht und im Recht der Strafvollstreckung besprochen.

II. Erweiterung des Fahrverbots im Straf- und Jugendstrafrecht

Das Fahrverbot als Nebenstrafe in § 44 StGB – nicht zu verwechseln mit der Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß den §§ 69 ff. StGB – ist bereits seit den 90er Jahren in der politischen Diskussion. Eine nicht eben geringe Anzahl an Entwürfen wurde ins parlamentarische Verfahren eingebracht, diese verfielen jedoch jeweils mit dem Ende der Legislaturperiode der Diskontinuität5. Im Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode hieß es daher (erneut), dass mit der Einführung des Fahrverbots als einer eigenständigen Sanktion im Erwachsenen- und Jugendstrafrecht eine Alternative zur Freiheitsstrafe für Personen geschaffen werden soll, für die eine Geldstrafe kein fühlbares Übel darstellt6. Umgesetzt wurde diese Vorgabe, indem die bisher auf mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs zusammenhängende Straftaten beschränkte Sanktion auf sämtliche Straftaten ausgeweitet wurde. Dabei wurde allerdings ihr Charakter als Nebenstrafe beibehalten. Mit einer Ausgestaltung als Hauptstrafe – und entsprechend im Jugendstrafrecht als eigenständigem Zuchtmittel – wären einschneidende Änderungen des bestehenden Sanktionssystems verbunden gewesen, die vermieden werden sollten7. Somit wurde lediglich in § 44 Abs. 1 Satz 1 StGB der für die Anordnung des Fahrverbots erforderliche Verkehrsbezug gestrichen, außerdem die Höchstdauer für das Fahrverbot von derzeit drei Monaten auf sechs Monate erhöht. Im Jugendstrafrecht soll die maximale Dauer weiterhin drei Monate betragen (vgl. § 8 Abs. 3 Satz 2 JGG n.F.).

Anders als noch der Referentenentwurf8 enthält der Regierungsentwurf auch eine Regelung zur Nacheinandervollstreckung mehrerer Fahrverbote9. Damit entfällt das bislang vor allem aus dem Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht bekannte Taktieren um den Anordnungszeitpunkt bei mehreren Fahrverboten, damit diese im Ergebnis „parallel“ (= zeitgleich) vollstreckt werden10. Im neuen Abs. 4 des § 44 StGB ist nunmehr bestimmt, dass die Verbotsfristen nacheinander zu berechnen und damit die Fahrverbote auch nacheinander zu vollstrecken sind. Bei Mehrfachtätern kann sich dadurch die Gesamtdauer mehrerer zeitnah verhängter Fahrverbote spürbar verlängern. Die gleichlautende Änderung in § 25 Abs. 2b StVG schließt die Parallelvollstreckung von Fahrverboten künftig auch im Bußgeldverfahren aus11.

Eine weitere Ergänzung hat die Regelung im Laufe des parlamentarischen Verfahrens infolge der Sachverständigenanhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages erfahren12. Um dem Bestimmtheitsgrundsatz noch stärker Rechnung zu tragen, wurden in § 44 Abs. 1 Satz 2 konkrete Vorgaben formuliert, wann – gerade bei Straftaten ohne Verkehrsbezug – die Anordnung eines Fahrverbots in Betracht kommt13. Dies soll vor allem dann der Fall sein, wenn ein Fahrverbot zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung erforderlich erscheint oder hierdurch die Verhängung einer Freiheitsstrafe oder deren Vollstreckung vermieden werden kann. Auch wurde eine flexiblere Gestaltung der Wirksamkeit des Fahrverbots für die Betroffenen eingeführt, um die Rechtspraxis von der Einlegung taktischer Rechtsmittel zu entlasten. Nach § 44 Abs. 2 Satz 1 StGB kann der Betroffenen innerhalb von einem Monat nach Rechtskraft des Urteils den Zeitpunkt des Beginns des Fahrverbots selbst wählen. Die Regelung knüpft an die aus dem Straßenverkehrsordnungswidrigkeitenrecht bekannte Wahlmöglichkeit des § 25 Abs. 2a StVG an, beschränkt allerdings die Zeitspanne von dort vier Monaten im strafrechtlichen Sanktionenrecht auf einen Monat14.

III. Neue Regelbeispiele für das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt

Ausgangspunkt der Änderungen des § 266a StGB war der im Abschlussbericht des Staatssekretärsausschusses zu „Rechtsfragen und Herausforderungen bei der Inanspruchnahme der sozialen Sicherungssysteme durch Angehörige der EU-Mitgliedstaaten“ vom 27.08.201415 festgehaltene Bedarf, zur wirksamen Bekämpfung von Schwarzarbeit den Unrechtsgehalt bestimmter Verhaltensweisen mit hohem Organisationsgrad besser abzubilden. Bei dem zugrunde liegenden Phänomen handelt es sich um die Nutzung inhaltlich unrichtiger Belege in der Weise, dass von sogenannten Service-Firmen Rechnungen ausgestellt und an Unternehmen weitergegeben werden, die illegal Arbeitnehmer beschäftigen. Die Unternehmen begleichen die Rechnung und verbuchen auf diese Weise ihre Schwarzlohnzahlungen, die sie zudem steuerlich absetzen und bei Betriebsprüfungen belegen können. Tatsächlich wird das an die Service-Firma gezahlte Geld von dieser aber an die von dem Unternehmen illegal beschäftigten Arbeitnehmer als Schwarzlohn weitergeleitet.

Nach geltendem Recht ist nur die Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege ein besonders schwerer Fall (§ 266a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 StGB), unrichtige Rechnungen fallen nicht darunter. Die Rechnungen werden zudem in der Regel auch nicht „verwendet“, sondern vom Täter nur vorsorglich vorgehalten, um bei möglichen Betriebsprüfungen den tatsächlichen Zahlungszweck und damit die tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse verschleiern zu können. Die neuen Regelbeispiele sollen diese Taten nunmehr erfassen. Dabei regelt § 266a Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 StGB den Fall, dass sich der Täter (Arbeitgeber) zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege von einem Dritten verschafft, der diese gewerbsmäßig anbietet. § 266a Abs. 4 Satz 2 Nr. 4 StGB erfasst die bandenmäßige Begehung, also den Zusammenschluss von mindestens drei Personen zum Zwecke des fortgesetzten Vorenthaltens von Beiträgen und zum Verschleiern der Beschäftigungsverhältnisse durch nachgemachte, verfälschte oder unrichtige Belege. Eine Erweiterung der Ermittlungsbefugnisse, etwa durch die Aufnahme der neuen besonders schweren Fälle in den Katalog des § 100a Abs. 2 StPO für die Telekommunikationsüberwachung, ist mit der Neuregelung nicht verbunden16.

IV. Erweiterungen der Straftatbestände im Bundesnaturschutzgesetz

Die Änderungen im Bundesnaturschutzgesetz setzen die zuvor nur unzureichend in nationales Recht umgesetzte Richtlinie 2008/99/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.11.2008 über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt17 um. Die Richtlinie verlangt in ihrem Art. 3 Buchst. f, die grob fahrlässige Tötung und Zerstörung geschützter wildlebender Tier- und Pflanzenarten strafrechtlich zu ahnden. Mit dem Entwurf wird folglich das leichtfertige Töten und Zerstören von streng geschützten wildlebenden Tier-und Pflanzenarten (§ 71 Abs. 5 BNatSchG) und von bestimmten wildlebenden besonders geschützten Vogelarten (§ 71a Abs. 4 BNatSchG) unter Strafe gestellt. Gleichzeitig findet auf die neu eingeführten Leichtfertigkeitstatbestände die in Art. 3 Buchst. f der Richtlinie vorgesehene sogenannte Bagatellklausel Anwendung, wonach sich ein Täter nicht strafbar macht, wenn durch die Tat nur eine unerhebliche Menge von Exemplaren betroffen ist und sie nur unerhebliche Auswirkungen auf den Erhaltungszustand der Art hat. Mit der Erweiterung der Strafbarkeit soll über die Richtlinienumsetzung hinaus dem auf nationaler und internationaler Ebene zu beobachtenden deutlichen Anstieg von Wilderei und illegalen Entnahmen von gefährdeten Tieren sowie der starken Zunahme illegalen Wildtierhandels begegnet werden.

V. Auswirkungen für die Praxis

Ob die vorgenommene Erweiterung des Sanktionsspektrums im Bereich des Fahrverbots außerhalb der bereits jetzt erfassten Straßenverkehrsdelikte in der Praxis einen großen Anwendungsbereich haben wird, dürfte zweifelhaft sein. Anwendung finden kann diese Form der Sanktion ohnehin nur bei Delikten aus dem Bereich der kleineren und mittleren Kriminalität. Ladendiebstähle oder Schwarzfahrten werden aber zu einem großen Teil von Personen begangen, die nicht über ein eigenes Fahrzeug verfügen oder eine Fahrerlaubnis innehaben. Gleiches dürfte für die Erweiterungen der Strafbarkeit im Wirtschafts- und Umweltstrafrecht gelten. Die bereits vorhandenen Regelbeispiele des § 266a StGB und die Straftatbestände des Bundesnaturschutzgesetzes wurden auch bislang in der Praxis nur selten angewendet. Hier bleibt allenfalls, auf die – kaum messbare – generalpräventive Wirkung des Strafrechts zu vertrauen.

Fußnoten

1) Vgl. dazu die Beschlussempfehlung des ARV nebst Bericht in BT-Drs. 18/12785 und den Beschluss des Bundesrates in BR-Drs. 527/17 (B).
2) BT-Drs. 18/11277 (Regierungsentwurf).
3) BT-Drs. 18/11272 (Regierungsentwurf).
4) Vgl. dazu die Ausschuss-Drucksache 18(6)334 des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz vom 15.05.2017.
5) Vgl. die Aufzählung in BT-Drs. 18/11272, S. 3.
6) „Deutschlands Zukunft gestalten – Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD – 18. Legislaturperiode“, S. 146.
8) Abrufbar unter www.bmjv.de, besprochen bereits von Kubiciel, jurisPR-StrafR 19/2016 Anm. 1.
10) Zur Zulässigkeit der Nebeneinander-Vollstreckung vgl. AG Passau, Beschl. v. 06.04.2005 – 7 Cs 312 Js 17738/04 – NStZ-RR 2005, 244; LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 30.07.2014 – 5 Qs 66/14 – DAR 2014, 600; AG Viechtach, Beschl. v. 04.03.2008 – 7 II OWi 307/08 – DAR 2008, 276; zum Ganzen Seutter, DAR 2015, 428 ff.; Krumm, ZfSch 2013, 368 ff.
11) BT-Drs. 18/11272, S. 19, 26.
12) Sachverständigenanhörung vom 22.03.2017, Gutachten abrufbar unter https://www.bundestag.de/ausschuesse18/a06/anhoerungen/Archiv.
14) Zur Begründung vgl. BT-Drs. 18/12785, S. 45.
15) Abrufbar unter http://www.bmi.bund.de; dort Abschnitt V.1.4. S. 95.
16) Diese sollte nach dem Abschlussbericht des Staatssekretärsausschuss „Rechtsfragen und Herausforderungen bei der Inanspruchnahme der sozialen Sicherungssysteme durch Angehörige der EU-Mitgliedstaaten“ vom 27.08.2014, S. 95 geprüft werden.
17) ABl. L 328 vom 06.12.2008, S. 28.

Quelle: Ri’inLG Dr. Susanne Claus, jurisPR-StrafR 17/2017 Anm. 1 vom 30.08.2017